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Zweiter Aufzug

 
Platz in Brüssel

Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.

Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor acht Tagen auf der Zunft sagt' ich, eswürde schwere Händel geben.

Jetter. Ist's denn wahr, daß sie die Kirchen in Flandern geplündert haben?

Zimmermeister. Ganz und gar zugrunde gerichtet haben sie Kirchen und Kapellen. Nichts alsdie vier nackten Wände haben sie stehen lassen. Lauter Lumpengesindel! Und das macht unsregute Sache schlimm. Wir hätten eher, in der Ordnung und standhaft, unsere Gerechtsame derRegentin vortragen und drauf halten sollen. Reden wir jetzt, versammeln wir uns jetzt, soheißt es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern.

Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran? hängt doch derHals gar nah damit zusammen.

Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu lärmen anfängt,unter dem Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das zum Vorwande, worauf wir uns auchberufen müssen, und bringen das Land in Unglück.

(Soest tritt dazu.)

Soest. Guten Tag, ihr Herrn! Was gibt's Neues? Ist's wahr, daß die Bilderstürmergerade hierher ihren Lauf nehmen?

Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anrühren.

Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen - den fragt' ich aus. Die Regentin,so eine wackre kluge Frau sie bleibt, diesmal ist sie außer Fassung. Es muß sehr argsein, daß sie sich so geradezu hinter ihre Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Manmeint sogar, sie wolle aus der Stadt flüchten.

Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre Gegenwart beschützt uns, und wir wollen ihrmehr verschaffen als ihre Stutzbärte. Und wenn sie uns unsere Rechte und Freiheitenaufrechterhält, so wollen wir sie auf den Händen tragen.

(Seifensieder tritt dazu.)

Seifensieder. Garstige Händel! Üble Händel! Es wird unruhig und geht schiefaus! - Hütet euch, daß ihr stille bleibt, daß man euch nicht auch fürAufwiegler hält.

Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland.

Seifensieder. Ich weiß, da sind viele, die es heimlich mit den Calvinisten halten, dieauf die Bischöfe lästern, die den König nicht scheuen. Aber ein treuer Untertan, einaufrichtiger Katholike! -

(Es gesellt sich nach und nach allerlei Volk zu ihnen und horcht. - Vansen tritt dazu.)

Vansen. Gott grüß' euch Herren! Was Neues?

Zimmermeister. Gebt euch mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.

Jetter. Ist es nicht der Schreiber beim Doktor Wiets?

Zimmermeister. Er hat schon viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber, und wie ihn einPatron nach dem andern fortjagte, Schelmstreiche halber, pfuscht er jetzt Notaren und Advokaten insHandwerk und ist ein Branntweinzapf.

(Es kommt mehr Volk zusammen und steht truppweise.)

Vansen. Ihr seid auch versammelt, steckt die Köpfe zusammen. Es ist immer redenswert.

Soest. Ich denk auch.

Vansen. Wenn jetzt einer oder der andere Herz hätte, und einer oder der andere den Kopfdazu: wir könnten die spanischen Ketten auf einmal sprengen.

Soest. Herre! So müßt Ihr nicht reden. Wir haben dem König geschworen.

Vansen. Und der König uns. Merkt das.

Jetter. Das läßt sich hören! Sagt Eure Meinung.

Einige andere. Horch, der versteht's. Der hat Pfiffe.

Vansen. Ich hatte einen alten Patron, der besaß Pergamente und Briefe von uraltenStiftungen, Kontrakten und Gerechtigkeiten; er hielt auf die rarsten Bücher. In einem standunsere ganze Verfassung: wie uns Niederländer zuerst einzelne Fürsten regierten, allesnach hergebrachten Rechten, Privilegien und Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren alle Ehrfurchtfür ihren Fürsten gehabt, wenn er sie regiert, wie er sollte; und wie sie sich gleichvorsahen, wenn er über die Schnur hauen wollte. Die Staaten waren gleich hinterdrein: dennjede Provinz, so klein sie war, hatte ihre Staaten, ihre Landstände.

Zimmermeister. Haltet Euer Maul! das weiß man lange! Ein jeder rechtschaffeneBürger ist, so viel er braucht, von der Verfassung unterrichtet.

Jetter. Laßt ihn reden; man erfährt immer etwas mehr.

Soests. Er hat ganz recht.

Mehrere. Erzählt! erzählt! So was hört man nicht alle Tage.

Vansen. So seid ihr Bürgersleute! Ihr lebt nur so in den Tag hin; und wie ihr euerGewerb' von euern Eltern überkommen habt, so laßt ihr auch das Regiment über euchschalten und walten, wie es kann und mag. Ihr fragt nicht nach dem Herkommen, nach der Historie,nach dem Recht eines Regenten; und über das Versäumnis haben euch die Spanier das Netzüber die Ohren gezogen.

Soests. Wer denkt da dran? wenn einer nur das tägliche Brot hat.

Jetter. Verflucht! Warum tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem so etwas?

Vansen. Ich sag es euch jetzt. Der König in Spanien, der die Provinzen durch gutGlück zusammen besitzt, darf doch nicht drin schalten und walten anders als die kleinenFürsten, die sie ehemals einzeln besaßen. Begreift ihr das?

Jetter. Erklärt's uns.

Vansen. Es ist so klar als die Sonne. Müßt ihr nicht nach euern Landrechtengerichtet werden? Woher käme das?

Ein Bürger. Wahrlich!

Vansen. Hat der Brüsseler nicht ein ander Recht als der Antwerper? der Antwerper alsder Genter? Woher käme denn das?

Anderer Bürger. Bei Gott!

Vansen. Aber, wenn ihr's so fortlaufen laßt, wird man's euch bald anders weisen. Pfui!Was Karl der Kühne, Friedrich der Krieger, Karl der Fünfte nicht konnten, das tut nunPhilipp durch ein Weib.

Soests. Ja, ja! Die alten Fürsten haben's auch schon probiert.

Vansen. Freilich! - Unsere Vorfahren paßten auf. Wie sie einem Herrn gram wurden,fingen sie ihm etwa seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn bei sich und gaben ihn nur auf diebesten Bedingungen heraus. Unsere Väter waren Leute! Die wußten, was ihnen nützwar! Die wußten etwas zu fassen und festzusetzen! Rechte Männer! Dafür sind aberauch unsere Privilegien so deutlich, unsere Freiheiten so versichert.

Seifensieder. Was sprecht Ihr von Freiheiten?

Das Volk. Von unsern Freiheiten, von unsern Privilegien! Erzählt noch was von unsernPrivilegien.

Vansen. Wir Brabanter besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile haben, wir sind amherrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.

Soests. Sagt an.

Jetter. Laßt hören.

Ein Bürger. Ich bitt Euch.

Vansen. Erstlich steht geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein guter und getreuerHerr sein.

Soests. Gut! Steht das so?

Jetter. Getreu? Ist das wahr?

Vansen. Wie ich euch sage. Er ist uns verpflichtet, wie wir ihm. Zweitens: Er soll keineMacht oder eignen Willen an uns beweisen, merken lassen, oder gedenken zu gestatten, auf keinerleiWeise.

Jetter. Schön! Schön! nicht beweisen.

Soests. Nicht merken lassen.

Ein anderer. Und nicht gedenken zu gestatten! Das ist der Hauptpunkt. Niemanden gestatten,auf keinerlei Weise.

Vansen. Mit ausdrücklichen Worten.

Jetter. Schafft uns das Buch.

Ein Bürger. Ja, wir müssen's haben.

Andere. Das Buch! das Buch!

Ein anderer. Wir wollen zu der Regentin gehen mit dem Buche.

Ein anderer. Ihr sollt das Wort führen, Herr Doktor.

Seifensieder. O die Tröpfe!

Andere. Noch etwas aus dem Buche!

Seifensieder. Ich schlage ihm die Zähne in den Hals, wenn er noch ein Wort sagt.

Das Volk. Wir wollen sehen, wer ihm etwas tut. Sagt uns was von den Privilegien! Haben wirnoch mehr Privilegien?

Vansen. Mancherlei, und sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch: Der Landsherr soll dengeistlichen Stand nicht verbessern oder mehren, ohne Verwilligung des Adels und der Stände!Merkt das! Auch den Staat des Landes nicht verändern.

Soest. Ist das so?

Vansen. Ich will's euch geschrieben zeigen, von zwei-, dreihundert Jahren her.

Bürger. Und wir leiden die neuen Bischöfe? Der Adel muß uns schützen,wir fangen Händel an!

Andere. Und wir lassen uns von der Inquisition ins Bockshorn jagen?

Vansen. Das ist eure Schuld.

Das Volk. Wir haben noch Egmont! noch Oranien! Die sorgen für unser Bestes!

Vansen. Eure Brüder in Flandern haben das gute Werk angefangen.

Seifensieder. Du Hund!

(Er schlägt ihn.)

Andere (widersetzen sich und rufen). Bist du auch ein Spanier?

Ein anderer. Was? den Ehrenmann?

Ein anderer. Den Gelahrten?

(Sie fallen den Seifensieder an.)

Zimmermeister. Um's Himmels willen, ruht!

(Andere mischen sich in den Streit.)

Zimmermeister. Bürger, was soll das?

(Buben pfeifen, werfen mit Steinen, hetzen Hunde an, Bürger stehn und gaffen, Volkläuft zu, andere gehn gelassen auf und ab, andere treiben allerlei Schalkspossen, schreien undjubilieren.)

Andere. Freiheit und Privilegien! Privilegien und Freiheit!

(Egmont tritt auf mit Begleitung.)

Egmont. Ruhig! Ruhig, Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus einander!

Zimmermeister. Gnädiger Herr, Ihr kommt wie ein Engel des Himmels. Stille! seht ihrnichts? Graf Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!

Egmont. Auch hier? Was fangt ihr an? Bürger gegen Bürger! Hält sogar dieNähe unsrer königlichen Regentin diesen Unsinn nicht zurück? Geht auseinander, gehtan euer Gewerbe. Es ist ein übles Zeichen, wenn ihr an Werktagen feiert. Was war's?

(Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)

Zimmermeister. Sie schlagen sich um ihre Privilegien.

Egmont. Die sie noch mutwillig zertrümmern werden - Und wer seid Ihr? Ihr scheint mirrechtliche Leute.

Zimmermeister. Das ist unser Bestreben.

Egmont. Eures Zeichens?

Zimmermeister. Zimmermann und Zunftmeister.

Egmont. Und Ihr?

Soest. Krämer.

Egmont. Ihr?

Jetter. Schneider.

Egmont. Ich erinnere mich, Ihr habt mit an den Livreen für meine Leute gearbeitet. EuerName ist Jetter.

Jetter. Gnade, daß Ihr Euch dessen erinnert.

Egmont. Ich vergesse niemanden leicht, den ich einmal gesehen und gesprochen habe. - Was aneuch ist, Ruhe zu erhalten, Leute, das tut; ihr seid übel genug angeschrieben. Reizt denKönig nicht mehr, er hat zuletzt doch die Gewalt in Händen. Ein ordentlicher Bürger,der sich ehrlich und fleißig nährt, hat überall so viel Freiheit, als er braucht.

Zimmermeister. Ach wohl! das ist eben unsre Not! Die Tagdiebe, die Söffer, dieFaulenzer, mit Euer Gnaden Verlaub, die stänkern aus Langerweile und scharren aus Hunger nachPrivilegien und lügen den Neugierigen und Leichtgläubigen was vor, und um eine Kanne Bierbezahlt zu kriegen, fangen sie Händel an, die viel tausend Menschen unglücklich machen.Das ist ihnen eben recht. Wir halten unsre Häuser und Kasten zu gut verwahrt; da möchtensie gern uns mit Feuerbränden davontreiben.

Egmont. Allen Beistand sollt ihr finden; es sind Maßregeln genommen, dem Übelkräftig zu begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und glaubt nicht, durch Aufruhrbefestige man Privilegien. Bleibt zu Hause; leidet nicht, daß sie sich auf den Straßenrotten. Vernünftige Leute können viel tun.

(Indessen hat sich der größte Haufe verlaufen.)

Zimmermeister. Danken Euer Exzellenz, danken für die gute Meinung! Alles, was an unsliegt. (Egmont ab.) Ein gnädiger Herr! der echte Niederländer! Gar so nichtsSpanisches.

Jetter. Hätten wir ihn nur zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.

Soest. Das läßt der König wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit denSeinigen.

Jetter. Hast du das Kleid gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach spanischem Schnitt.

Zimmermeister. Ein schöner Herr!

Jetter. Sein Hals wär' ein rechtes Fressen für einen Scharfrichter.

Soest. Bist du toll? was kommt dir ein!

Jetter. Dumm genug, daß einem so etwas einfällt. - Es ist mir nun so. Wenn icheinen schönen langen Hals sehe, muß ich gleich wider Willen denken: der ist gutköpfen. - Die verfluchten Exekutionen! man kriegt sie nicht aus dem Sinne. Wenn die Burscheschwimmen, und ich seh einen nackten Buckel, gleich fallen sie mir zu Dutzenden ein, die ich habemit Ruten streichen sehen. Begegnet mir ein rechter Wanst, mein ich, den säh' ich schon amPfahl braten. Des Nachts im Traume zwickt mich's an allen Gliedern; man wird eben keine Stundefroh. Jede Lustbarkeit, jeden Spaß hab ich bald vergessen; die fürchterlichen Gestaltensind mir wie vor die Stirne gebrannt.


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