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Dritter Aufzug

 
Palast der Regentin

Margarete von Parma.

Margarete. Ich hätte mir's vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mühe und Arbeit vorsich hinlebt, denkt man immer, man tue das Möglichste; und der von weitem zusieht undbefiehlt, glaubt, er verlange nur das Mögliche. - O die Könige! - Ich hättenicht geglaubt, daß es mich so verdrießen könnte. Es ist so schön zuherrschen! - Und abzudanken? - Ich weiß nicht, wie mein Vater es konnte; aber ich will esauch.

(Machiavell erscheint im Grunde.)

Regentin. Tretet näher, Machiavell. Ich denke hier über den Brief meines Bruders.

Machiavell. Ich darf wissen, was er enthält?

Regentin. So viel zärtliche Aufmerksamkeit für mich als Sorgfalt für seineStaaten. Er rühmt die Standhaftigkeit, den Fleiß und die Treue, womit ich bisherfür die Rechte seiner Majestät in diesen Landen gewacht habe. Er bedauert mich, daßmir das unbändige Volk so viel zu schaffen mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten sovollkommen überzeugt, mit der Klugheit meines Betragens so außerordentlich zufrieden,daß ich fast sagen muß, der Brief ist für einen König zu schöngeschrieben, für einen Bruder gewiß.

Machiavell. Es ist nicht das erstemal, daß er Euch seine gerechte Zufriedenheitbezeigt.

Regentin. Aber das erstemal, daß es rednerische Figur ist.

Machiavell. Ich versteh Euch nicht.

Regentin. Ihr werdet. - Denn er meint, nach diesem Eingange: ohne Mannschaft, ohne einekleine Armee werde ich immer hier eine üble Figur spielen! Wir hätten, sagt er, unrechtgetan, auf die Klagen der Einwohner unsre Soldaten aus den Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung,meint er, die dem Bürger auf dem Nacken lastet, verbiete ihm durch ihre Schwere, großeSprünge zu machen.

Machiavell. Es würde die Gemüter äußerst aufbringen.

Regentin. Der König meint aber, hörst du? - Er meint, daß ein tüchtigerGeneral, so einer, der gar keine Räson annimmt, gar bald mit Volk und Adel, Bürgern undBauern fertig werden könne; - und schickt deswegen mit einem starken Heere - den Herzog vonAlba.

Machiavell. Alba?

Regentin. Du wunderst dich?

Machiavell. Ihr sagt: er schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?

Regentin. Der König fragt nicht; er schickt.

Machiavell. So werdet Ihr einen erfahrnen Krieger in Euren Diensten haben.

Regentin. In meinen Diensten? Rede grad heraus, Machiavell.

Machiavell. Ich möcht' Euch nicht vorgreifen.

Regentin. Und ich möchte mich verstellen! Es ist mir empfindlich, sehr empfindlich. Ichwollte lieber, mein Bruder sagte, wie er's denkt, als daß er förmliche Epistelnunterschreibt, die ein Staatssekretär aufsetzt.

Machiavell. Sollte man nicht einsehen? -

Regentin. Und ich kenne sie inwendig und auswendig. Sie möchten's gern gesäubertund gekehrt haben; und weil sie selbst nicht zugreifen, so findet ein jeder Vertrauen, der mit demBesen in der Hand kommt. O mir ist's, als wenn ich den König und sein Konseil auf dieserTapete gewirkt sähe.

Machiavell. So lebhaft?

Regentin. Es fehlt kein Zug. Es sind gute Menschen drunter. Der ehrliche Rodrich, der soerfahren und mäßig ist, nicht zu hoch will, und doch nichts fallen läßt, dergerade Alonzo, der fleißige Freneda, der feste Las Vargas, und noch einige, die mitgehen,wenn die gute Partei mächtig wird. Da sitzt aber der hohläugige Toledaner mit der ehrnenStirne und dem tiefen Feuerblick, murmelt zwischen den Zähnen von Weibergüte, unzeitigemNachgeben und daß Frauen wohl von zugerittenen Pferden sich tragen lassen, selbst aberschlechte Stallmeister sind, und solche Späße, die ich ehemals von den politischenHerren habe mit durchhören müssen.

Machiavell. Ihr habt zu dem Gemälde einen guten Farbentopf gewählt.

Regentin. Gesteht nur, Machiavell: In meiner ganzen Schattierung, aus der ich allenfallsmalen könnte, ist kein Ton so gelbbraun-gallenschwarz wie Albas Gesichtsfarbe und als dieFarbe, aus der er malt. Jeder ist bei ihm gleich ein Gotteslästerer, einMajestätsschänder: denn aus diesem Kapitel kann man sie alle sogleich rädern,pfählen, vierteilen und verbrennen. - Das Gute, was ich hier getan habe, sieht gewiß inder Ferne wie nichts aus, eben weil's gut ist. - Da hängt er sich an jeden Mutwillen, dervorbei ist, erinnert an jede Unruhe, die gestillt ist; und es wird dem Könige vor den Augen sovoll Meuterei, Aufruhr und Tollkühnheit, daß er sich vorstellt, sie fräßensich hier einander auf, wenn eine flüchtig vorübergehende Ungezogenheit eines rohen Volksbei uns lange vergessen ist. Da faßt er einen recht herzlichen Haß auf die armen Leute;sie kommen ihm abscheulich, ja wie Tiere und Ungeheuer vor; er sieht sich nach Feuer und Schwert umund wähnt, so bändige man Menschen.

Machiavell. Ihr scheint mir zu heftig, Ihr nehmt die Sache zu hoch. Bleibt Ihr nichtRegentin?

Regentin. Das kenn ich. Er wird eine Instruktion bringen. - Ich bin in Staatsgeschäftenalt genug geworden, um zu wissen, wie man einen verdrängt, ohne ihm seine Bestallung zunehmen. - Erst wird er eine Instruktion bringen, die wird unbestimmt und schief sein; er wird umsich greifen, denn er hat die Gewalt; und wenn ich mich beklage, wird er eine geheime Instruktionvorschützen; wenn ich sie sehen will, wird er mich herumziehen; wenn ich drauf bestehe, wirder mir ein Papier zeigen, das ganz was anders enthält; und wenn ich mich da nicht beruhige,gar nicht mehr tun, als wenn ich redete. - Indes wird er, was ich fürchte, getan, und was ichwünsche, weit abwärts gelenkt haben.

Machiavell. Ich wollt', ich könnt' Euch widersprechen.

Regentin. Was ich mit unsäglicher Geduld beruhigte, wird er durch Härte undGrausamkeiten wieder aufhetzen; ich werde vor meinen Augen mein Werk verloren sehen undüberdies noch seine Schuld zu tragen haben.

Machiavell. Erwarten's Eure Hoheit.

Regentin. So viel Gewalt hab ich über mich, um stille zu sein. Laß ihn kommen;ich werde ihm mit der besten Art Platz machen, eh' er mich verdrängt.

Machiavell. So rasch diesen wichtigen Schritt?

Regentin. Schwerer, als du denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist, wer's hergebracht hat,daß jeden Tag das Schicksal von Tausenden in seiner Hand liegt, steigt vom Throne wie insGrab. Aber besser so, als einem Gespenste gleich unter den Lebenden bleiben und mit hohlem Ansehneinen Platz behaupten wollen, den ihm ein anderer abgeerbt hat und nun besitzt und genießt.

 
Klärchens Wohnung

Klärchen. Mutter.

Mutter. So eine Liebe wie Brackenburgs hab ich nie gesehen; ich glaubte, sie sei nur inHeldengeschichten.

Klärchen (geht in der Stube auf und ab, ein Lied zwischen den Lippen summend).

Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.

Mutter. Er vermutet deinen Umgang mit Egmont; und ich glaube, wenn du ihm ein wenigfreundlich tätest, wenn du wolltest, er heiratete dich noch.

Klärchen (singt).

Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein,
Langen
Und bangen
In schwebender Pein,
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt -
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.

Mutter. Laß das Heiopopeia.

Klärchen. Scheltet mir's nicht; es ist ein kräftig Lied. Hab ich doch schonmanchmal ein großes Kind damit schlafen gewiegt.

Mutter. Du hast doch nichts im Kopfe als deine Liebe. Vergäßest du nur nichtalles über das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten, sag ich dir. Er kanndich noch einmal glücklich machen.

Klärchen. Er?

Mutter. O ja! es kommt eine Zeit! - Ihr Kinder seht nichts voraus und überhorcht unsreErfahrungen. Die Jugend und die schöne Liebe, alles hat sein Ende; und es kommt eine Zeit, woman Gott dankt, wenn man irgendwo unterkriechen kann.

Klärchen (schaudert, schweigt und fährt auf). Mutter, laßt die Zeitkommen wie den Tod. Dran vorzudenken ist schreckhaft! - Und wenn er kommt! Wenn wir müssen -dann - wollen wir uns gebärden, wie wir können - Egmont, ich dich entbehren! - (InTränen.) Nein, es ist nicht möglich, nicht möglich.

Egmont (in einem Reitermantel, den Hut ins Gesicht gedrückt). Klärchen!

Klärchen (tut einen Schrei, fährt zurück). Egmont! (Sie eilt aufihn zu.) Egmont! (Sie umarmt ihn und ruht an ihm.) O du Guter, Lieber, Süßer!Kommst du? bist du da!

Egmont. Guten Abend, Mutter.

Mutter. Gott grüß' Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen, daßIhr so lang ausbleibt; sie hat wieder den ganzen Tag von Euch geredet und gesungen.

Egmont. Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?

Mutter. Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hätten.

Klärchen. Freilich! Seid nur ruhig, Mutter; ich habe schon alles darauf eingerichtet,ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter.

Mutter. Schmal genug.

Klärchen. Wartet nur! Und dann denk ich: wenn er bei mir ist, hab ich gar keinenHunger; da sollte er auch keinen großen Appetit haben, wenn ich bei ihm bin.

Egmont. Meinst du?

Klärchen (stampft mit dem Fuße und kehrt sich unwillig um).

Egmont. Wie ist dir?

Klärchen. Wie seid Ihr heute so kalt! Ihr habt mir noch keinen Kuß angeboten.Warum habt Ihr die Arme in den Mantel gewickelt wie ein Wochenkind? Ziemt keinem Soldaten nochLiebhaber, die Arme eingewickelt zu haben.

Egmont. Zuzeiten, Liebchen, zuzeiten. Wenn der Soldat auf der Lauer steht und dem Feindeetwas ablisten möchte, da nimmt er sich zusammen, faßt sich selbst in seine Arme undkaut seinen Anschlag reif. Und ein Liebhaber -

Mutter. Wollt Ihr Euch nicht setzen? es Euch nicht bequem machen? Ich muß in dieKüche; Klärchen denkt an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr müßt fürliebnehmen.

Egmont. Euer guter Wille ist die beste Würze. (Mutter ab.)

Klärchen. Und was wäre denn meine Liebe?

Egmont. So viel du willst.

Klärchen. Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.

Egmont. Zuvörderst also. (Er wirft den Mantel ab und steht in einem prächtigenKleide da.)

Klärchen. O je!

Egmont. Nun hab ich die Arme frei. (Er herzt sie.)

Klärchen. Laßt! Ihr verderbt Euch. (Sie tritt zurück.) Wieprächtig! Da darf ich Euch nicht anrühren.

Egmont. Bist du zufrieden? Ich versprach dir, einmal spanisch zu kommen.

Klärchen. Ich bat Euch zeither nicht mehr drum; ich dachte, Ihr wolltet nicht - Ach unddas Goldne Vlies!

Egmont. Da siehst du's nun.

Klärchen. Das hat dir der Kaiser umgehängt?

Egmont. Ja, Kind! und Kette und Zeichen geben dem, der sie trägt, die edelstenFreiheiten. Ich erkenne auf Erden keinen Richter über meine Handlungen als denGroßmeister des Ordens, mit dem versammelten Kapitel der Ritter.

Klärchen. O du dürftest die ganze Welt über dich richten lassen. - Der Sammetist gar zu herrlich, und die Passementarbeit! und das Gestickte! - Man weiß nicht, wo mananfangen soll.

Egmont. Sieh dich nur satt.

Klärchen. Und das Goldne Vlies! Ihr erzähltet mir die Geschichte und sagtet, essei ein Zeichen alles Großen und Kostbaren, was man mit Müh und Fleiß verdient underwirbt. Es ist sehr kostbar - ich kann's deiner Liebe vergleichen. - Ich trage sie ebenso amHerzen - und hernach -

Egmont. Was willst du sagen?

Klärchen. Hernach vergleicht sich's auch wieder nicht.

Egmont. Wieso?

Klärchen. Ich habe sie nicht mit Müh und Fleiß erworben, nicht verdient.

Egmont. In der Liebe ist es anders. Du verdienst sie, weil du dich nicht darum bewirbst -und die Leute erhalten sie auch meist allein, die nicht darnach jagen.

Klärchen. Hast du das von dir abgenommen? Hast du diese stolze Anmerkung über dichselbst gemacht? du, den alles Volk liebt?

Egmont. Hätt' ich nur etwas für sie getan! könnt' ich etwas für sie tun!Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.

Klärchen. Du warst gewiß heute bei der Regentin?

Egmont. Ich war bei ihr.

Klärchen. Bist du gut mit ihr?

Egmont. Es sieht einmal so aus. Wir sind einander freundlich und dienstlich.

Klärchen. Und im Herzen?

Egmont. Will ich ihr wohl. Jedes hat seine eignen Absichten. Das tut nichts zur Sache. Sieist eine treffliche Frau, kennt ihre Leute, und sähe tief genug, wenn sie auch nichtargwöhnisch wäre. Ich mache ihr viel zu schaffen, weil sie hinter meinem Betragen immerGeheimnisse sucht, und ich keine habe.

Klärchen. So gar keine?

Egmont. Eh nun! einen kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein in den Fässern anmit der Zeit. Oranien ist doch noch eine bessere Unterhaltung für sie und eine immer neueAufgabe. Er hat sich in den Kredit gesetzt, daß er immer etwas Geheimes vorhabe: und nunsieht sie immer nach seiner Stirne, was er wohl denken, auf seine Schritte, wohin er sie wohlrichten möchte.

Klärchen. Verstellt sie sich?

Egmont. Regentin, und du fragst?

Klärchen. Verzeiht, ich wollte fragen: ist sie falsch?

Egmont. Nicht mehr und nicht weniger als jeder, der seine Absichten erreichen will.

Klärchen. Ich könnte mich in die Welt nicht finden. Sie hat aber auch einenmännlichen Geist, sie ist ein ander Weib als wir Nähterinnen und Köchinnen. Sie istgroß, herzhaft, entschlossen.

Egmont. Ja, wenn's nicht gar zu bunt geht. Diesmal ist sie doch ein wenig aus der Fassung.

Klärchen. Wieso?

Egmont. Sie hat auch ein Bärtchen auf der Oberlippe, und manchmal einen Anfall vonPodagra. Eine rechte Amazone!

Klärchen. Eine majestätische Frau! Ich scheute mich, vor sie zu treten.

Egmont. Du bist doch sonst nicht zaghaft - Es wäre auch nicht Furcht, nurjungfräuliche Scham.

Klärchen (schlägt die Augen nieder, nimmt seine Hand und lehnt sich an ihn).

Egmont. Ich verstehe dich! liebes Mädchen! du darfst die Augen aufschlagen. (Erküßt ihre Augen.)

Klärchen. Laß mich schweigen! Laß mich dich halten. Laß mich dir indie Augen sehen; alles drin finden, Trost und Hoffnung und Freude und Kummer. (Sie umarmt ihnund sieht ihn an.) Sag mir! Sage! ich begreife nicht! bist du Egmont? der Graf Egmont? dergroße Egmont, der so viel Aufsehn macht, von dem in den Zeitungen steht, an dem die Provinzenhängen?

Egmont. Nein, Klärchen, das bin ich nicht.

Klärchen. Wie?

Egmont. Siehst du, Klärchen! - Laß mich sitzen! (Er setzt sich, sie kniet vorihn auf einen Schemel, legt ihr Arme auf seinen Schoß und sieht ihn an.) Jener Egmont ist ein verdrießlicher, steifer, kalter Egmont, der an sich halten, bald dieses bald jenes Gesicht machen muß; geplagt, verkannt, verwickelt ist, wenn ihn die Leute für froh undfröhlich halten; geliebt von einem Volke, das nicht weiß, was es will; geehrt und in dieHöhe getragen von einer Menge, mit der nichts anzufangen ist; umgeben von Freunden, denen ersich nicht überlassen darf; beobachtet von Menschen, die ihm auf alle Weise beikommenmöchten; arbeitend und sich bemühend, oft ohne Zweck meist ohne Lohn - O laß michschweigen, wie es dem ergeht, wie es dem zumute ist. Aber dieser, Klärchen, der ist ruhig,offen, glücklich, geliebt und gekannt von dem besten Herzen, das auch er ganz kennt und mitvoller Liebe und Zutrauen an das seine drückt. (Er umarmt sie.) Das ist deinEgmont!

Klärchen. So laß mich sterben! Die Welt hat keine Freuden auf diese!


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