Home

Fünfter Aufzug

Straße
Dämmerung

Klärchen. Brackenburg. Bürger.

Brackenburg. Liebchen, um Gottes willen, was nimmst du vor?

Klärchen. Komm mit, Brackenburg! Du mußt die Menschen nicht kennen; wir befreienihn gewiß. Denn was gleicht ihrer Liebe zu ihm? Jeder fühlt, ich schwör es, in sichdie brennende Begier, ihn zu retten, die Gefahr von einem kostbaren Leben abzuwenden und demFreiesten die Freiheit wiederzugeben. Komm! Es fehlt nur an der Stimme, die sie zusammenruft. Inihrer Seele lebt noch ganz frisch, was sie ihm schuldig sind! und daß sein mächtiger Armallein von ihnen das Verderben abhält, wissen sie. Um seinet- und ihretwillen müssen siealles wagen. Und was wagen wir? Zum höchsten unser Leben, das zu erhalten nicht der Mühewert ist, wenn er umkommt.

Brackenburg. Unglückliche! du siehst nicht die Gewalt, die uns mit ehernen Bandengefesselt hat.

Klärchen. Sie scheint mir nicht unüberwindlich. Laß uns nicht langvergebliche Worte wechseln. Hier kommen von den alten, redlichen, wackern Männern! Hört,Freunde! Nachbarn, hört! - Sagt, wie ist es mit Egmont?

Zimmermeister. Was will das Kind? Laß sie schweigen,

Klärchen. Tretet näher, daß wir sachte reden, bis wir einig sind undstärker. Wir dürfen nicht einen Augenblick versäumen! Die freche Tyrannei, die eswagt, ihn zu fesseln, zuckt schon den Dolch, ihn zu ermorden. O Freunde! mit jedem Schritt derDämmerung werd ich ängstlicher. Ich fürchte diese Nacht! Kommt! wir wollen unsteilen; mit schnellem Lauf von Quartier zu Quartier rufen wir die Bürger heraus. Ein jedergreife zu seinen alten Waffen. Auf dem Markte treffen wir uns wieder, und unser Strom reißteinen jeden mit sich fort. Die Feinde sehen sich umringt und überschwemmt, und sinderdrückt. Was kann uns eine Handvoll Knechte widerstehen? Und er in unsrer Mitte kehrtzurück, sieht sich befreit und kann uns einmal danken, uns, die wir ihm so tiefverschuldet worden. Er sieht vielleicht - gewiß er sieht das Morgenrot am freien Himmelwieder.

Zimmermeister. Wie ist dir, Mädchen?

Klärchen. Könnt ihr mich mißverstehn? Vom Grafen sprech ich! Ich spreche vonEgmont.

Jetter. Nennt den Namen nicht! Er ist tödlich.

Klärchen. Den Namen nicht! Wie? Nicht diesen Namen? Wer nennt ihn nicht bei jederGelegenheit? Wo steht er nicht geschrieben? In diesen Sternen hab ich oft mit allen seinen Letternihn gelesen. Nicht nennen? Was soll das? Freunde! Gute, teure Nachbarn, ihr träumt; besinnteuch. Seht mich nicht so starr und ängstlich an! Blickt nicht schüchtern hie und dabeiseite. Ich ruf euch ja nur zu, was jeder wünscht. Ist meine Stimme nicht eures Herzenseigne Stimme? Wer würfe sich in dieser bangen Nacht, eh' er sein unruhvolles Bette besteigt,nicht auf die Knie, ihn mit ernstlichem Gebet vom Himmel zu erringen? Fragt euch einander! fragejeder sich selbst! und wer spricht mir nicht nach: »Egmonts Freiheit oder den Tod!«

Jetter. Gott bewahr' uns! Da gibt's ein Unglück.

Klärchen. Bleibt! Bleibt, und drückt euch nicht vor seinem Namen weg, dem ihr euchsonst so froh entgegendrängtet! - Wenn der Ruf ihn ankündigte, wenn es hieß:»Egmont kommt! Er kommt von Gent!« da hielten die Bewohner der Straßen sichglücklich, durch die er reiten mußte. Und wenn ihr seine Pferde schallen hörtet,warf jeder seine Arbeit hin, und über die bekümmerten Gesichter, die ihr durchs Fensterstecktet, fuhr wie ein Sonnenstrahl von seinem Angesichte ein Blick der Freude und Hoffnung. Dahobt ihr eure Kinder auf der Türschwelle in die Höhe und deutetet ihnen: »Sieh, dasist Egmont, der Größte da! Er ist's! Er ist's, von dem ihr bessere Zeiten, als eurearmen Väter lebten, einst zu erwarten habt.« Laßt eure Kinder nicht dereinst euchfragen: »Wo ist er hin? Wo sind die Zeiten hin, die ihr verspracht?« - Und so wechselnwir Worte! sind müßig, verraten ihn.

Soest. Schämt Euch, Brackenburg! Laßt sie nicht gewähren! Steuert dem Unheil!

Brackenburg. Liebes Klärchen! wir wollen gehen! Was wird die Mutter sagen?Vielleicht -

Klärchen. Meinst du, ich sei ein Kind oder wahnsinnig? Was kann vielleicht? - Vondieser schrecklichen Gewißheit bringst du mich mit keiner Hoffnung weg. - Ihr sollt michhören und ihr werdet: denn ich seh's, ihr seid bestürzt und könnt euch selbst ineuerm Busen nicht wiederfinden. Laßt durch die gegenwärtige Gefahr nur einenBlick in das Vergangene dringen, das kurz Vergangene. Wendet eure Gedanken nach der Zukunft.Könnt ihr denn leben? werdet ihr, wenn er zugrunde geht? Mit seinem Atem flieht der letzteHauch der Freiheit. Was war er euch? Für wen übergab er sich der dringendsten Gefahr?Seine Wunden flossen und heilten nur für euch. Die große Seele, die euch alle trug,beschränkt ein Kerker, und Schauer tückischen Mordes schweben um sie her. Er denktvielleicht an euch, er hofft auf euch, er, der nur zu geben, nur zu erfüllen gewohntwar.

Zimmermeister. Gevatter, kommt.

Klärchen. Und ich habe nicht Arme, nicht Mark wie ihr; doch hab ich, was euch alleneben fehlt, Mut und Verachtung der Gefahr. Könnt' euch mein Atem doch entzünden!könnt' ich an meinen Busen drückend euch erwärmen und beleben! Kommt! In eurer Mittewill ich gehen! - Wie eine Fahne wehrlos ein edles Heer von Kriegern wehend anführt, so sollmein Geist um eure Häupter flammen, und Liebe und Mut das schwankende zerstreute Volk zu einemfürchterlichen Heer vereinigen.

Jetter. Schaff sie beiseite, sie dauert mich. (Bürger ab.)

Brackenburg. Klärchen! siehst du nicht, wo wir sind?

Klärchen. Wo? Unter dem Himmel, der so oft sich herrlicher zu wölben schien, wennder Edle unter ihm herging. Aus diesen Fenstern haben sie herausgesehn, vier, fünf Köpfeübereinander; an diesen Türen haben sie gescharrt und genickt, wenn er auf die Memmenherabsah. O ich hatte sie so lieb, wie sie ihn ehrten! Wäre er Tyrann gewesen,möchten sie immer vor seinem Falle seitwärts gehn. Aber sie liebten ihn! - O ihrHände, die ihr an die Mützen grifft, zum Schwert könnt ihr nicht greifen -Brackenburg, und wir? - Schelten wir sie? - Diese Arme, die ihn so oft fest hielten, was tun siefür ihn? - List hat in der Welt so viel erreicht - Du kennst Wege und Stege, kennst das alteSchloß. Es ist nichts unmöglich, gib mir einen Anschlag.

Brackenburg. Wenn wir nach Hause gingen!

Klärchen. Gut.

Brackenburg. Dort an der Ecke seh ich Albas Wache; laß doch die Stimme der Vernunftdir zu Herzen dringen. Hältst du mich für feig? Glaubst du nicht, daß ich umdeinetwillen sterben könnte? Hier sind wir beide toll, ich so gut wie du. Siehst du nicht dasUnmögliche? Wenn du dich faßtest! Du bist außer dir.

Klärchen. Außer mir! Abscheulich! Brackenburg, ihr seid außer euch. Da ihrlaut den Helden verehrtet, ihn Freund und Schutz und Hoffnung nanntet, ihm Vivat rieft, wenn erkam: da stand ich in meinem Winkel, schob das Fenster halb auf, verbarg mich lauschend, und dasHerz schlug mir höher als euch allen. Jetzt schlägt mir's wieder höher als euchallen! Ihr verbergt euch, da es not ist, verleugnet ihn und fühlt nicht, daß ihruntergeht, wenn er verdirbt.

Brackenburg. Komm nach Hause.

Klärchen. Nach Hause?

Brackenburg. Besinne dich nur! Sieh dich um! Dies sind die Straßen, die du nursonntäglich betratst, durch die du sittsam nach der Kirche gingst, wo du übertriebenehrbar zürntest, wenn ich mit einem freundlichen grüßenden Wort mich zu dirgesellte. Du stehst und redest, handelst vor den Augen der offnen Welt; besinne dich, Liebe! wozuhilft es uns?

Klärchen. Nach Hause! Ja, ich besinne mich. Komm, Brackenburg, nach Hause! Weißtdu, wo meine Heimat ist? (Ab.)

 
Gefängnis,
durch eine Lampe erhellt, ein Ruhebett im Grunde

Egmont (allein). Alter Freund! immer getreuer Schlaf, fliehst du mich auch wie dieübrigen Freunde? Wie willig senktest du dich auf mein freies Haupt herunter und kühltestwie ein schöner Myrtenkranz der Liebe meine Schläfe! Mitten unter Waffen, auf der Wogedes Lebens, ruht' ich leicht atmend, wie ein aufquellender Knabe, in deinen Armen. Wenn Stürmedurch Zweige und Blätter sausten, Ast und Wipfel sich knirrend bewegten, blieb innerst dochder Kern des Herzens ungeregt. Was schüttelt dich nun? was erschüttert den festen treuenSinn? Ich fühl's, es ist der Klang der Mordaxt, die an meiner Wurzel nascht. Noch steh ichaufrecht, und ein innrer Schauer durchfährt mich. Ja, sie überwindet, dieverräterische Gewalt; sie untergräbt den festen hohen Stamm, und eh' die Rinde dorrt,stürzt krachend und zerschmetternd deine Krone.

Warum denn jetzt, der du so oft gewalt'ge Sorgen gleich Seifenblasen dir vom Haupte weggewiesen,warum vermagst du nicht die Ahnung zu verscheuchen, die tausendfach in dir sich auf- undniedertreibt? Seit wann begegnet der Tod dir fürchterlich, mit dessen wechselnden Bildern, wiemit den übrigen Gestalten der gewohnten Erde, du gelassen lebtest? - Auch ist er'snicht, der rasche Feind, dem die gesunde Brust wetteifernd sich entgegensehnt; der Kerker ist's,des Grabes Vorbild, dem Helden wie dem Feigen widerlich. Unleidlich ward mir's schon auf meinemgepolsterten Stuhle, wenn in stattlicher Versammlung die Fürsten, was leicht zu entscheidenwar, mit wiederkehrenden Gesprächen überlegten, und zwischen düstern Wändeneines Saals die Balken der Decke mich erdrückten. Da eilt' ich fort, sobald es möglichwar, und rasch aufs Pferd mit tiefem Atemzuge. Und frisch hinaus, da wo wir hingehören! insFeld, wo aus der Erde dampfend jede nächste Wohltat der Natur und durch die Himmel wehend alleSegen der Gestirne uns umwittern; wo wir, dem erdgebornen Riesen gleich, von der Berührungunsrer Mutter kräftiger uns in die Höhe reißen; wo wir die Menschheit ganz undmenschliche Begier in allen Adern fühlen; wo das Verlangen, vorzudringen, zu besiegen, zuerhaschen, seine Faust zu brauchen, zu besitzen, zu erobern, durch die Seele des jungen Jägersglüht; wo der Soldat sein angebornes Recht auf alle Welt mit raschem Schritt sich anmaßtund in fürchterlicher Freiheit wie ein Hagelwetter durch Wiese, Feld und Wald verderbendstreicht und keine Grenzen kennt, die Menschenhand gezogen.

Du bist nur Bild, Erinnerungstraum des Glücks, das ich so lang besessen; wo hat dich dasGeschick verräterisch hingeführt? Versagt es dir, den nie gescheuten Tod im Angesicht derSonne rasch zu gönnen, um dir des Grabes Vorgeschmack im ekeln Moder zu bereiten? Wie hauchter mich aus diesen Steinen widrig an! Schon starrt das Leben, vor dem Ruhebette wie vor dem Grabescheut der Fuß. -

O Sorge! Sorge! die du vor der Zeit den Mord beginnst, laß ab! - Seit wann ist Egmont dennallein, so ganz allein in dieser Welt? Dich macht der Zweifel hülflos, nicht das Glück.Ist die Gerechtigkeit des Königs, der du lebenslang vertrautest, ist der RegentinFreundschaft, die fast (du darfst es dir gestehn), fast Liebe war, sind sie auf einmal, wie einglänzend Feuerbild der Nacht, verschwunden? und lassen dich allein auf dunkelm Pfadzurück? Wird an der Spitze deiner Freunde Oranien nicht wagend sinnen? Wird nicht ein Volksich sammeln und mit anschwellender Gewalt den alten Freund erretten?

O haltet, Mauern, die ihr mich einschließt, so vieler Geister wohlgemeintes Drängennicht von mir ab; und welcher Mut aus meinen Augen sonst sich über sie ergoß, derkehre nun aus ihren Herzen in meines wieder. O ja, sie rühren sich zu Tausenden!sie kommen! stehen mir zur Seite! Ihr frommer Wunsch eilt dringend zu dem Himmel, er bittet um einWunder. Und steigt zu meiner Rettung nicht ein Engel nieder, so seh ich sie nach Lanz undSchwertern greifen. Die Tore spalten sich, die Gitter springen, die Mauer stürzt von ihrenHänden ein, und der Freiheit des einbrechenden Tages steigt Egmont fröhlich entgegen. Wiemanch bekannt Gesicht empfängt mich jauchzend! Ach Klärchen, wärst du Mann; sosäh' ich dich gewiß auch hier zuerst und dankte dir, was einem Könige zu dankenhart ist, Freiheit.

 
Klärchens Haus

Klärchen (kommt mit einer Lampe und einem Glas Wasser aus der Kammer; sie setzt dasGlas auf den Tisch und tritt ans Fenster). Brackenburg? Seid Ihr's? Was hört' ich denn?noch niemand? Es war niemand! Ich will die Lampe ins Fenster setzen, daß er sieht, ich wachenoch, ich warte noch auf ihn. Er hat mir Nachricht versprochen. Nachricht? EntsetzlicheGewißheit! - Egmont verurteilt! - Welch Gericht darf ihn fordern? und sie verdammen ihn! DerKönig verdammt ihn? oder der Herzog? Und die Regentin entzieht sich! Oranien zaudert, und alleseine Freunde! - - Ist dies die Welt, von deren Wankelmut, Unzuverlässigkeit ich vielgehört und nichts empfunden habe? Ist dies die Welt? - Wer wäre bös genug, denTeuern anzufeinden? Wäre Bosheit mächtig genug, den allgemein Erkannten schnell zustürzen? Doch ist es so - es ist - O Egmont, sicher hielt ich dich vor Gott und Menschen,wie in meinen Armen! Was war ich dir? Du hast mich dein genannt, mein ganzes Leben widmeteich deinem Leben. - Was bin ich nun? Vergebens streck ich nach der Schlinge, die dich faßt,die Hand aus. Du hülflos und ich frei! - Hier ist der Schlüssel zu meiner Tür. Anmeiner Willkür hängt mein Gehen und mein Kommen, und dir bin ich zu nichts! - -O bindet mich, damit ich nicht verzweifle; und werft mich in den tiefsten Kerker, daßich das Haupt an feuchte Mauern schlage, nach Freiheit winsle, träume, wie ich ihm helfenwollte, wenn Fesseln mich nicht lähmten, wie ich ihm helfen würde. - Nun bin ich frei,und in der Freiheit liegt die Angst der Ohnmacht. - Mir selbst bewußt, nicht fähig, einGlied nach seiner Hülfe zu rühren. Ach leider, auch der kleine Teil von deinem Wesen,dein Klärchen, ist wie du gefangen und regt getrennt im Todeskrampfe nur die letztenKräfte. - Ich höre schleichen, husten - Brackenburg - er ist's! - Elender guter Mann,dein Schicksal bleibt sich immer gleich; dein Liebchen öffnet dir die nächtlicheTür, und ach zu welch unseliger Zusammenkunft!

(Brackenburg tritt auf.)

Klärchen. Du kommst so bleich und schüchtern, Brackenburg! was ist's?

Brackenburg. Durch Umwege und Gefahren such ich dich auf. Die großen Straßensind besetzt; durch Gäßchen und durch Winkel hab ich mich zu dir gestohlen.

Klärchen. Erzähl, wie ist's?

Brackenburg (indem er sich setzt). Ach Kläre, laß mich weinen. Ich liebt'ihn nicht. Er war der reiche Mann und lockte des Armen einziges Schaf zur bessern Weideherüber. Ich hab ihn nie verflucht; Gott hat mich treu geschaffen und weich. In Schmerzenfloß mein Leben vor mir nieder, und zu verschmachten hofft' ich jeden Tag.

Klärchen. Vergiß das, Brackenburg! Vergiß dich selbst. Sprich mir von ihm!Ist's wahr? Ist er verurteilt?

Brackenburg. Er ist's! ich weiß es ganz genau.

Klärchen. Und lebt noch?

Brackenburg. Ja, er lebt noch.

Klärchen. Wie willst du das versichern? - Die Tyrannei ermordet in der Nacht denHerrlichen! vor allen Augen verborgen fließt sein Blut. Ängstlich im Schlafe liegt dasbetäubte Volk und träumt von Rettung, träumt ihres ohnmächtigen WunschesErfüllung; indes unwillig über uns sein Geist die Welt verläßt. Er ist dahin!- Täusche mich nicht! dich nicht!

Brackenburg. Nein gewiß, er lebt! - Und leider, es bereitet der Spanier dem Volke, daser zertreten will, ein fürchterliches Schauspiel, gewaltsam jedes Herz, das nach der Freiheitsich regt, auf ewig zu zerknirschen.

Klärchen. Fahre fort und sprich gelassen auch mein Todesurteil aus! Ich wandle denseligen Gefilden schon näher und näher, mir weht der Trost aus jenen Gegenden desFriedens schon herüber. Sag an.

Brackenburg. Ich konnt' es an den Wachen merken, aus Reden, die bald da bald dorten fielen,daß auf dem Markte geheimnisvoll ein Schrecknis zubereitet werde. Ich schlich durchSeitenwege, durch bekannte Gänge nach meines Vettern Hause und sah aus einem Hinterfensternach dem Markte. - Es wehten Fackeln in einem weiten Kreise spanischer Soldaten hin und wider. Ichschärfte mein ungewohntes Auge, und aus der Nacht stieg mir ein schwarzes Gerüstentgegen, geräumig hoch; mir grauste vor dem Anblick. Geschäftig waren viele rings umherbemüht, was noch von Holzwerk weiß und sichtbar war, mit schwarzem Tuch einhüllendzu verkleiden. Die Treppen deckten sie zuletzt auch schwarz, ich sah es wohl. Sie schienen dieWeihe eines gräßlichen Opfers vorbereitend zu begehn. Ein weißes Kruzifix, dasdurch die Nacht wie Silber blinkte, ward an der einen Seite hoch aufgesteckt. Ich sah, und sah dieschreckliche Gewißheit immer gewisser. Noch wankten Fackeln hie und da herum; allmählichwichen sie und erloschen. Auf einmal war die scheußliche Geburt der Nacht in ihrer MutterSchoß zurückgekehrt.

Klärchen. Still, Brackenburg! Nun still! Laß diese Hülle auf meiner Seeleruhn. Verschwunden sind die Gespenster, und du, holde Nacht, leih deinen Mantel der Erde, die insich gärt; sie trägt nicht länger die abscheuliche Last, reißt ihre tiefenSpalten grausend auf und knirscht das Mordgerüst hinunter. Und irgendeinen Engel sendet derGott, den sie zum Zeugen ihrer Wut geschändet; vor des Boten heiliger Berührunglösen sich Riegel und Bande, und er umgießt den Freund mit mildem Schimmer; erführt ihn durch die Nacht zur Freiheit sanft und still. Und auch mein Weg geht heimlich indieser Dunkelheit, ihm zu begegnen.

Brackenburg (sie aufhaltend). Mein Kind, wohin? was wagst du?

Klärchen. Leise, Lieber, daß niemand erwache! daß wir uns selbst nichtwecken! Kennst du dies Fläschchen, Brackenburg? Ich nahm dir's scherzend, als du mitübereiltem Tod oft ungeduldig drohtest. - Und nun, mein Freund -

Brackenburg. In aller Heiligen Namen! -

Klärchen. Du hinderst nichts. Tod ist mein Teil! und gönne mir den sanftenschnellen Tod, den du dir selbst bereitetest. Gib mir deine Hand! - Im Augenblick, da ich diedunkle Pforte eröffne, aus der kein Rückweg ist, könnt' ich mit diesemHändedruck dir sagen, wie sehr ich dich geliebt, wie sehr ich dich bejammert. Mein Bruderstarb mir jung; dich wählt' ich, seine Stelle zu ersetzen. Es widersprach dein Herz undquälte sich und mich, verlangtest heiß und immer heißer, was dir nicht beschiedenwar. Vergib mir und leb wohl! Laß mich dich Bruder nennen! Es ist ein Name, der viel Namen insich faßt. Nimm die letzte schöne Blume der Scheidenden mit treuem Herzen ab - nimmdiesen Kuß - Der Tod vereinigt alles, Brackenburg, uns denn auch.

Brackenburg. So laß mich mit dir sterben! Teile! Teile! Es ist genug, zwei Lebenauszulöschen.

Klärchen. Bleib! du sollst leben, du kannst leben. - Steh meiner Mutter bei, die ohnedich in Armut sich verzehren würde. Sei ihr, was ich ihr nicht mehr sein kann; lebt zusammenund beweint mich. Beweint das Vaterland und den, der es allein erhalten konnte. Das heutigeGeschlecht wird diesen Jammer nicht los; die Wut der Rache selbst vermag ihn nicht zu tilgen. Lebt,ihr Armen, die Zeit noch hin, die keine Zeit mehr ist. Heut steht die Welt auf einmal still; esstockt ihr Kreislauf, und mein Puls schlägt kaum noch wenige Minuten. Leb wohl!

Brackenburg. O lebe du mit uns, wie wir für dich allein! Du tötest uns in dir,o leb und leide. Wir wollen unzertrennlich dir zu beiden Seiten stehn, und immer achtsam solldie Liebe den schönsten Trost in ihren lebendigen Armen dir bereiten. Sei unser! Unser! Ichdarf nicht sagen: mein.

Klärchen. Leise, Brackenburg! Du fühlst nicht, was du rührst. Wo Hoffnung direrscheint, ist mir Verzweiflung.

Brackenburg. Teile mit den Lebendigen die Hoffnung! Verweil am Rande des Abgrundes, schauhinab und sieh auf uns zurück.

Klärchen. Ich hab überwunden, ruf mich nicht wieder zum Streit.

Brackenburg. Du bist betäubt; gehüllt in Nacht suchst du die Tiefe. Noch ist nichtjedes Licht erloschen, noch mancher Tag! -

Klärchen. Weh! über dich Weh! Weh! Grausam zerreißest du den Vorhang vormeinem Auge. Ja, er wird grauen, der Tag! vergebens alle Nebel um sich ziehn und wider Willengrauen! Furchtsam schaut der Bürger aus seinem Fenster, die Nacht läßt einenschwarzen Flecken zurück; er schaut, und fürchterlich wächst im Lichte dasMordgerüst. Neu leidend wendet das entweihte Gottesbild sein flehend Auge zum Vater auf. DieSonne wagt sich nicht hervor; sie will die Stunde nicht bezeichnen, in der er sterben soll.Träge gehn die Zeiger ihren Weg, und eine Stunde nach der andern schlägt. Halt! Halt! Nunist es Zeit! mich scheucht des Morgens Ahnung in das Grab. (Sie tritt ans Fenster, als sähesie sich um, und trinkt heimlich.)

Brackenburg. Kläre! Kläre!

Klärchen (geht nach dem Tisch und trinkt das Wasser). Hier ist der Rest! Ichlocke dich nicht nach. Tu, was du darfst, leb wohl. Lösche diese Lampe still und ohne Zaudern,ich geh zur Ruhe. Schleiche dich sachte weg, ziehe die Tür nach dir zu. Still! Wecke meineMutter nicht! Geh, rette dich! Rette dich! wenn du nicht mein Mörder scheinen willst. (Ab.)

Brackenburg. Sie läßt mich zum letztenmale wie immer. O könnte eineMenschenseele fühlen, wie sie ein liebend Herz zerreißen kann. Sie läßt michstehn, mir selber überlassen; und Tod und Leben ist mir gleich verhaßt. - Allein zusterben! - Weint, ihr Liebenden! Kein härter Schicksal ist als meins! Sie teilt mit mir denTodestropfen und schickt mich weg! von ihrer Seite weg! sie zieht mich nach und stößtins Leben mich zurück. O Egmont, welch preiswürdig Los fällt dir! Sie gehtvoran; der Kranz des Siegs aus ihrer Hand ist dein, sie bringt den ganzen Himmel dir entgegen! -Und soll ich folgen? wieder seitwärts stehn? den unauslöschlichen Neid in jene Wohnungenhinübertragen? - Auf Erden ist kein Bleiben mehr für mich, und Höll und Himmelbieten gleiche Qual. Wie wäre der Vernichtung Schreckenshand dem Unglückseligen willkommen!

(Brackenburg geht ab; das Theater bleibt einige Zeit unverändert. Eine Musik,Klärchens Tod bezeichnend, beginnt; die Lampe, welche Brackenburg auszulöschen vergessen,flammt noch einigemal auf, dann erlischt sie. Bald verwandelt sich der Schauplatz in das


Vorige SeiteTitelseiteNächste Seite